Eiseskälte im Gesundheitswesen?

InjektionWer kennt Sie nicht, die Kassengestelle? Alle Optiker hatten einen Ständer mit Brillen, die man zum Nulltarif bekommen konnte. Jetzt gibt es die nur noch bei einem Optiker – zumindest heftigst in Rundfunk und Fernsehen beworben. Massagen gab es ohne Zuzahlungen und der Besuch beim Arzt kostete keine 10€.

Das ist lange her
In den letzten 10-15 Jahren wurde an so vielen Schrauben in unserem Gesundheitssystem geschraubt, dass ich komplett den Überblick verloren habe. Die Beiträge, ich kann mich mal erinnern, waren knapp über 10%, so was ähnliches wie Wettbewerb entbrannte zwischen den Kassen. Heute Einheitskasse mit Gesundheitsfonds. Eigentlich war in den letzten Jahres nur eines sicher und von Konstanz: Die Beiträge, Belastungen und Zuzahlungen stiegen kontinuierlich an, und die Leistungen wurden immer weiter gekürzt.

Und warum? Weil das solidarische System leider viele Besserverdiener nicht mit einbezog, ausserdem die Beamten und die Selbstständigen. Dazu die kostenlose Familienversicherung und viel unnötige Verwaltung bei viel zu vielen Krankenkassen. Das konnte bei hoher Arbeitslosigkeit einfach nicht länger gutgehen, da den Kassen langsam aber sicher die Beitragszahler ausgingen.

Zwei-Klassen-Medizin?
Die Zwei-Klassen-Medizin vor der heute mal wieder gewarnt wird, ist schon lange, lange Alltag in unserem Leben. Privat-Versicherte bekommen schneller Termine und bessere Behandlungen, und wer keine 08-15-Krone haben will (und dafür auch nur 50% bezahlt bekommt) greift schon lange zur Zusatzversicherung – sofern er sie sich leisten kann.

Und jetzt geht das Geschrei erst richtig los. Da kommt so ein jungen Spund von Gesundheitsminister und sagt deutlich, dass es so nicht weitergehen kann. Skandal, wie kann er nur? Dr. Rösler spricht aus, was wir alle schon lange wissen: So kann es nicht weitergehen. Reflexartig schreien die „Experten“ los, reden von sozialem Kahlschlag, von 2-Klassen-Medizin und lamentieren und lamentieren…

Und wieder einmal typisch, es werden nur einzelne Punkte heraus gepflückt und diese in der Luft zerrissen. Es ist kein Wunder, wenn unsere Politiker keine Gesamt-Konzepte mehr erarbeiten und umsetzen können, wenn schon im Vorfeld die einzelnen Punkte zerredet werden und niemand mal das „Ganze“ betrachtet.

Grundversorgung und soziale Kälte
Natürlich klingt es nach sozialer Kälte, wenn es plötzlich heisst, jeder soll das Gleiche bezahlen. Was aber niemand dazu sagt ist, dass die ärmeren einen Zuschuss aus Steuermitteln bekommen sollen. Was ist daran ungerecht, oder sozial kalt? Viele, und zwar mehr als momentan, unterstützen dann mit ihren Steuergeldern die, die nicht so viel Geld haben?

Und natürlich klingt „Grundversorgung“ auch nicht wirklich prickelnd. Aber haben wir heute mehr? Bekomme ich noch einen Cent zu meiner notwendigen Brille dazu? Was bringen mit 50% Leistung der Kasse bei Zahnersatz, wenn ich noch 1000€ dazu zahlen muss? Ist es sozial, wenn ich für eine Schuheinlage, die 100€ kostet, 63€ dazu zahlen muss? Dass ist die Realität. Wir haben schon lange nicht mehr als eine Grundversorgung.

Immer mit der Ruhe
Leute. Hört auf euch die Punkte heraus zu picken, die euch nicht gefallen, hört genau zu und wartet mal ab, wie das Gesamtkonzept aussieht. So wie bisher kann es nicht weitergehen und ich hoffe, dass unsere Regierung die Kraft hat, ein Gesamtkonzept durchzuziehen, dass unser Gesundheitssystem wieder auf die Spur bringt. Und nichts wird so heiß gegessen wie es gekocht wird. Es wird noch genug über alles geredet werden. Aber lasst die Herren doch auch mal ausreden.

admin

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7 Gedanken zu “Eiseskälte im Gesundheitswesen?

  1. Oh, noch was:

    „[…] dass es immer mehr Leistungsempfänger gibt und immer weniger Leistungserbringer bzw. Einzahler. Das wäre vermutlich dadurch zu lösen, dass “alle” einzahlen […]“

    Private Krankenversicherungen gibt es ja auch nicht seit Anbeginn der Sozialversicherungswesen. Sie sind vielmehr ein Produkt liberaler Politik der achtziger Jahre.

  2. @ Thorben: „Prominentestes Beispiel: Rentenversicherung. Da ist die Ertragslage einer privaten Versicherungen elementar höher als bei der gesetzlichen.“

    Nee echt? Deine Private Rentenversicherung GARANTIERT Dir jetzt schon einen Ertrag für Deine Rente? Unabhängig wie sich die Wirtschaft (und damit die der PRV zugrundeliegenden Fonds) entwickelt? Geil. Welche Versicherung ist das und welcher Tarif? Das dürfte so ziemlich der einzige sein, der sowas kann.
    Das IMK läßt jedenfalls kein gutes Haar am Riestern
    siehe http://www.spiegelfechter.com/wordpress/1181/wir-riestern-uns-arm

  3. @Turtle: Das ist es, was ich meine. Es gibt sinnvolle „echte“ Aenderungen. Einige hast Du aufgezaehlt. Solche Vorschlaege sollten in der Politik diskutiert und umgesetzt werden.
    Stattdessen wird wieder ausschliesslich ueber die Stellschrauben der Verteilung geredet und dann daran herumgeschraubt. Und von der EU gefoerdertes kostenloses Obst fuer alle Schueler in Niedersachsen abgelehnt (nicht, dass das alleine ausreichen wuerde…).

  4. Eine grundsaetzliche und soziale Aenderung des Gesundheitssystems ließe sich auch durch eine generelle gesetzliche Versicherungspflicht (keine PK mehr) schaffen bei gleichzeitiger Konsolidierung der Krankenkasse. Letzteres zeichnet sich ja sowieso ab, die Anzahl der gesetzl. KK nimmt ab. Wenn man es dadurch schafft den Verwaltungsaufwand zu minimieren, spart das schon mal jede Menge Kosten. Auch solch fragwuerdigen Riesenprojekte wie die elektronische Gesundheitskarte kosten wahrscheinlich mehr als sie langfristig bringen. Die Zeit war/ist dafuer offensichtlich noch nicht reif.

    Im Uebrigen ist es fraglich ob die aeltere Gesellschaft wirklich so viel mehr kostet. Gesundheitskosten entstehen immer am meisten im letzten Lebensjahr eines Menschen, egal wie alt. Gleichzeitig muessen ja auch weniger junge Menschen versorgt werden. Auch werden die Menschen ja nicht unbedingt kraenker wenn sie aelter werden, sonst wuerden sie wohl nicht so alt werden. Hinzu kommt, dass es gerade in Dtl. jede Menge Vorsorgeuntersuchungen gibt, die nicht oder nur wenig evaluiert werden (Bsp. Koloskopie, Abstrich bei Frauen jaehrlich, Mammographie usw.) aber viel kosten. Der Nutzen ist damit nicht immer gegeben, wenn man den Aufwand in Relation stellt.

    Gleichzeitig gibt es viele Moeglichkeiten einen gesuenderen Lebensstil zu foerdern. Rauchen kann richtig teuer sein, Alkohol muss nicht billiger werden. Auch die Förderung einer gesunden Ernährungsweise durch gesundes und kostenloses/billiges (also öffentlich gefördertes) Schulessen wäre ein Ansatz. Anreize fuer mehr Bewegung z.B. durch Erwachsenen- oder Senioren“spielplätze“.

    Hinzu kommt, dass die Pharmabranche Preise verlangen kann wie sie will. Ist auch verstaendlich aus Sicht eines solchen Unternehmens. Medizinische Forschung findet heutzutage vor allem in der Privatwirtschaft statt, klar dass das Geld auch wieder reinkommen muss (plus Gewinn, die meisten sind ja AGs). Staatlich finanzierte Forschung mit frei zugaenglichen Ergebnissen wuerde eine Menge helfen. Dann wuerde sich auch die leidige Patentfrage erledigen.

    Auch die Frage ob niedergelassene Aerzte immer selbstständig sein muessen, ist für mich nicht abschliessend beantwortet. Warum nicht über die Einrichtung von Polikliniken nachdenken (mit angestellen Ärzten), das finanzielle Risiko des Artzes (Praxiseinrichtung etc) ist geringer und der Zwang zu einem entsprechenden „Umsatz“ wird weniger.

    Ich finde die Argumente „Wir werden immer aelter und deshalb kostet die Krankenversicherung mehr.“ und „Es kann so nicht weitergehen“ nicht wirklich überzeugend. Die einzige Antwort die in den letzten Jahren gefunden wurde, war die Arbeitgeber mehr und mehr aus der sozialen Verantwortung zu entlassen, die Belastung der Arbeitnehmer zu erhöhen und gleichzeitig die Leistungen zu kürzen. Insofern ist die Kopfpauschale konsequent, die Arbeitgeber sind fein raus und untere u. mittlere Einkommensschichten haben überproportional drunter zu leiden. Sog. „Sachzwänge“ sind keine Grundlage für eine solidarische Politik, da braucht es eher den Willen zu echter Veränderung, nicht nur bei Politikern. Lebensrisiken zu privatisieren macht das Leben nicht besser, nur teurer.

    1. Guter Beitrag #Turtle. Auch wenn ich nicht in allen Punkten übereinstimme. Aber: „Lebensrisiken zu privatisieren macht das Leben nicht besser, nur teurer.“ da stimme ich erstmal nicht zu.

      Prominentestes Beispiel: Rentenversicherung. Da ist die Ertragslage einer privaten Versicherungen elementar höher als bei der gesetzlichen. Vermutlich würde mehr Geld am Ende herauskommen, wenn ich mein Geld unters Kopfkissen lege als wenn ich es der gesetzl. Versicherung zur Verfügung stelle. Wenn Wettbewerb vorhanden ist, wird weiter entwickelt, werden Kosten reduziert,…

      Privatisierung ist kein Allheilmittel (z.B. finde ich es bei der Bahn mehr als falsch) aber in manchen Bereichen doch eine gute Idee. Und ich denke, es liegt nicht an den Krankheiten der älteren, dass die Gesundheitskosten steigen, sonderen daran, dass es immer mehr Leistungsempfänger gibt und immer weniger Leistungserbringer bzw. Einzahler. Das wäre vermutlich dadurch zu lösen, dass „alle“ einzahlen und die Priviligierten Beamten, Selbständigen und Gutverdiener Ihre Pfründe loslassen müssen. Der Weg, den Ausgleich durch Steuern zu schaffen ist nicht die Königslösung, aber ich denke, dadurch zahlen immerhin alle Steuerzahler mit – und das sind mehr als jetzt angestellte Arbeitnehmer.

  5. In der Tat, es braucht mutige und grosse Aenderungen. In der Politik ueberhaupt, aber auch speziell im Gesundheitswesen. Ich kenne keine Details ueber die Roeslerschen Ideen (die meines Wissens nach ohnehin noch einer genaueren Ausarbeitung beduerfen).
    Fakt ist jedenfalls, dass bei einem Einheitstarif die reicheren Pflichtversicherten weniger, die aermeren ueber der hierfuer definierten „Armutsgrenze“ mehr bezahlen werden. Fuer die Privatversicherten aendert sich nichts. Wie das unterhalb der Grenze aussieht haengt vom Mass der Unterstuetzung und der genauen Hoehe der Grenze ab. Beides jederzeit variierbar, von sozial ueber mittel bis assozial. Sagt also so erstmal gar nichts aus.
    Auch bei dem Thema Grundversorgung ist die Kernfrage fuer eine Bewertung, wie eine solche definiert ist. Auch schnell jederzeit variierbar. Ist damit weniger als der status quo der jetzigen Kassenversorgung gemeint, dann waere dies in jedem Fall eine Verschlechterung fuer alle, die arm genug sind, sich keine Zusatzversicherung leisten zu koennen. Und das sind zumindest diejenigen unter der Grenze.
    Ein weiterer Fakt ist, dass derzeit viele Aerzte die Privatpatienten brauchen, um ueber die Runden zu kommen, weil die privaten Krankenversicherungen den Aerzten mehr zahlen (weiss ich von einem befreundeten Arzt, der bewusst auf einen grossen Teil seines moeglichen Einkommens verzichtet, um nach bestem Wissen und Gewissen behandeln zu koennen – er verdient so weniger als ich, was auesserst unueblich ist). Natuerlich gibt es hier auch schwarze Schafe, die Kassenpatienten meiden.
    Und auch die privaten Krankenversicherungen bekommen immer mehr zu spueren, dass auch ihre Kunden aelter werden, so dass trotz der hoeheren Beitraege fuer aeltere Kunden die Gelder fuer die hoeheren Honorare knapp werden.
    Was man allein mit einer Gesundheitsreform nicht in den Griff bekommen wird, ist die Ueberalterung der Gesellschaft und die damit verbundenen Gesundheitskosten. Was eine Gesundheitsreform vermutlich nicht in den Griff bekommen wird, ist eine vernuenftige Veraenderung der Kassen-/Privatpatient Situation. Das ist naemlich eine heilige Kuh und (wie oben geschildert) auch nur aeusserst schwierig und mit grossen Umwaelzungen zu loesen. Aber ich lasse mich auch gerne eines besseren belehren.
    Die immer wieder zitierten Punkte der Gesundheitsreformideen der FDP an sich bedeuten wieder nur eine Umverteilung der Gebuehren, also die ueblichen, in der Politik fast ausschliesslich eingesetzten Stellschrauben. Mag anfangs sogar fuer einige Aermere (nicht aber die ganz armen) guenstiger sein, kann aber auch jederzeit per Stellschraubenjustierung veraendert werden.
    Was ich ziemlich enttaeuschend finde (aber was hatte ich denn erwartet?), ist, dass keine inhaltlich relevanten Punkte an die Oeffentlichkeit dringen. Ist die FDP einfach nur nicht gut genug in ihrer Pressearbeit, um inhaltlich relevantes an die Oeffentlichkeit zu bringen, oder gibt es da einfach (noch) nichts anderes…?
    Lassen wir uns ueberraschen.

  6. Ich kann mich noch erinnern, wie mal ausgerechnet wurde, dass die Kopfpauschale eine stärkere Umverteilung bedeuten würde, als das damals aktuelle System (also das vorm Fonds) oder die Bürgerversicherung.

    Ich finde auch, dass es so wie es ist, nicht bleiben kann. Es gibt diverse Möglichkeiten, wie man es anders, besser machen kann. Nur kann man diese oft nicht mischen. Wenn man auf einen Baum zurast, kann man rechts oder links an dem vorbei, einen Kompromiss gibts da nicht.

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